Um den 31. Oktober 2020 machte der vielfach kommentierte Twitter-Hashtag #95vsWissZeitVG die Systemkritik von betroffenen, prekär bezahlten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen an deutschen Hochschulen sichtbar.
Nach der Auswertung finden sich nun 95 Thesen zum Nachlesen, zur Argumentation, zur Organisation auf einer Webseite – gesammelt und nach Themenblöcken sortiert von Dr. Amrei Bahr, Dr. Kristin Eichhorn und Dr. Sebastian Kubon.
Was ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz?
Ursprünglich angelegt, um Nachwuchswissenschaftler*innen zu schützen, hält das Wissenschaftszeitvertragsgesetz fest, dass jede wissenschaftliche Qualifizierungsstufe (Prä- und Postdoc) nicht mehr als sechs Jahre dauern darf. Nach diesen zwölf Jahren – die Geburt von Kindern oder die Mitarbeit in durch Drittmittel geförderte Projekte haben Einfluss auf die genaue Zählung der jeweiligen Zeitphasen – ist nur noch eine entfriste Anstellung (bspw. in Form der Professur) möglich.
Innovationsteigerung und Zugang zu begrenzten wissenschaftlichen Stellen sind Argumente, die für das Gesetz sprechen, heißt es auf der Webseite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF):
„Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz regelt seit dem Jahr 2007, wie die Arbeitsverträge für das wissenschaftliche und künstlerische Personal an staatlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zeitlich befristet werden können. … Insbesondere in der Phase der Qualifizierung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind befristete Arbeitsverhältnisse sinnvoll und notwendig. Die durch Befristungen begünstigte Rotation ermöglicht nachrückenden Generationen überhaupt erst den Zugang zu wissenschaftlichen Tätigkeiten. Auch die Innovationskraft des Wissenschaftssystems wird hierdurch befördert.“ (Quelle: BMBF, Zugriff 30.11.2020)
Viele betroffene Wissenschaftler*innen, Mittelbauinitiativen und Gewerkschaften kritisieren jedoch die negativen Auswirkungen des Gesetzes: insbesondere die daraus resultierenden Unsicherheiten aufgrund von Befristung, die oftmals prekären Arbeitsbedingungen und die soziale Benachteiligung nicht-privilegierter Gruppen in der Wissenschaft. Schließlich heben sie das Ende wissenschaftlicher Karrieren nach Ablauf der zwölf Jahre ohne Festanstellung an einer Universität hervor.
Hier geht es zum Gesetzestext des WissZeitVG.
Für das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGA Wiss) hat die Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetz oberste Priorität.
Für mehr Mitbestimmung
Der Arbeitskreis Erstveröffentlichung unterstützt die gesellschaftliche Diskussion über Arbeitsbedingungen an den Hochschulen, denn sie betrifft die Arbeit des Arbeitskreises in der Frage, unter welche Bedingungen akademisches Publizieren stattfindet, im Wesentlichen: Die Publikationsliste hat direkte Auswirkungen auf Karrierechancen in der Wissenschaft. Wer aber kann gut veröffentlichen mit befristeten Verträgen, Vertretungen oder unbezahlten Privatdozenturen? Veröffentlichen, so gilt auch hier, ist (wissenschaftliche) Mitbestimmung!
Nur gemeinsamer gewerkschaftlicher Druck wird Verbesserungen der Arbeitsbedingungen hervorbringen. Informiert euch deshalb und unterstützt Initiativen wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss).
Informiert bleiben
Das Diskussionspapier ‚Personalmodelle‘ des NGAWiss widerlegt erstmals in klaren Zahlen den Mythos der Stagnation des wissenschaftlichen Jobmarktes bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen. Aus anderen Ländern bekannte Anstellungsverhältnisse etwa in Form eines Lecturer-Modells mit verstetigten Stellen bzw. eines Tenure Track-Systems seien dabei weder wettbewerbshemmend noch finanziell umrealisierbar. „Gegen junge Wissenschaft mit Perspektive abgedichtet ist einzig das gegebene System“, heißt es dabei im Papier.